Worauf weist der Anstieg der russischen Truppen an der ukrainischen Grenze hin? Wie wird der Krieg aussehen, wenn er passiert? Was steckt hinter der polnischen Grenzkrise und wie bereitet sich der Westen, der Ukraine zu helfen? Kann die EU die Ukraine angesichts einer eskalierenden Energiekrise unterstützen? Die Zeitschrift „Brussels Ukraine Review“ stellte diese sehr schwierigen Fragen den Europaabgeordneten, Politikern der Ukraine und Weißrusslands sowie westlichen und ukrainischen Experten.

Robert Biedroń, polnisches MdEP (Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten), Leiter der Delegation EU-Belarus im Europäischen Parlament

Das Zusammentreffen russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine ist keine Übung. Bei normalen Militärübungen gelten bestimmte Regeln und Verfahren, wie etwa die rechtzeitige Unterrichtung der Partner. Das ist in diesem Fall nicht geschehen. Sollte Russland Gewalt gegen die Ukraine anwenden, müssten die EU und die NATO schnell und konsequent reagieren. Wir dürfen nicht zu einer Marionette Putins werden, der Europa mit der Unterbrechung der Gaslieferungen erpresst. Wir können auch davon ausgehen, dass Lukaschenkas letzter hybrider Krieg an der Grenze zu Polen nur der Anfang von etwas viel Größerem in Putins Sinn war. Wir müssen immer wieder betonen, dass die Unterstützung der NATO für die Ukraine keine Bedrohung für Russland darstellt.

Viola von Cramon-Taubadel, deutsches MdEP (Fraktion der Grünen/Freie Europäische Allianz), stellvertretende Vorsitzende der EU-Ukraine-Delegation im Europäischen Parlament

Russland wendet hier die klassische Einschüchterungstaktik an, die auch von der Sowjetunion häufig eingesetzt wurde. Diese Taktik ist relativ „kostengünstig“ und zielt darauf ab, den Westen zu testen. Eine ähnliche Situation hatten wir bereits im April 2021, als Russland sogar 120.000 Soldaten in der Nähe der ukrainischen Grenze mobilisierte und zeitgleich die Zahl der Waffen und sonstigen militärischen Ausrüstungsgegenstände im besetzten Teil des Donbass deutlich aufstockte. Dieses Mal ist die Situation jedoch noch komplexer, da die belarusische Dimension hinzukommt und die russische Kontrolle dort zunimmt. Eine Überlegung ist daher, dass Russland darauf setzen könnte, dass durch die häufigen militärischen Aufmärsche eine Art „Abnutzungserscheinung“ auftritt, somit die Aufmerksamkeit im Westen für derartige Manöver sinken könnte und dem Kreml theoretisch eine weitere Besetzung der Ukraine mit minimalem internationalem Aufschrei und minimalen Konsequenzen ermöglicht würde.

In dieser Phase sollte die Entwicklung an der Ostgrenze der Ukraine aufmerksam verfolgt und die möglicherweise ernste Bedrohung nicht ausgeblendet werden. Die transatlantische Koordinierung ist von größter Bedeutung. KOM Präsidentin Ursula von der Leyen, EU Ratspräsident Charles Michel sowie die Staats- und Regierungschefs müssen bei Putin persönlich vorstellig werden und klar zum Ausdruck bringen, dass solche Spielchen gefährlich und extrem kontraproduktiv sind. Kakophonie innerhalb der EU Institutionen sollte unbedingt vermieden werden. Die EU sollte derweil alle diplomatischen Mittel nutzen, wie beispielsweise die Einberufung des russischen Botschafters oder ggfs auch eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland ankündigen.

Eine Einbindung der Ukraine in die transatlantischen Sicherheitsstrukturen wird von der Ukraine selbst die einzig wahre Lösung betrachtet, hier stehen jedoch innerhalb der NATO verschiedene Fragen offen, so dass diese Lösung sicher nicht praktikabel ist.

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